Inflammaging – Wie stille Entzündungen uns altern lassen
- Ebba Wagner

- 16. Okt.
- 3 Min. Lesezeit
Altern ist kein plötzliches Ereignis, sondern ein biologischer Prozess, der jeden Tag in unseren Zellen stattfindet. Manche altern sichtbar langsamer – ihre Haut wirkt frischer, sie sind leistungsfähig, schlafen gut. Andere kämpfen schon in mittleren Jahren mit Müdigkeit, Entzündungen, Gewichtszunahme, Hautproblemen oder Stoffwechselstörungen.
Ein Schlüssel, um diese Unterschiede zu verstehen, ist ein Begriff, der in den letzten Jahren zunehmend in der wissenschaftlichen Literatur auftaucht: „Inflammaging“.

Was bedeutet Inflammaging eigentlich?
Der Begriff setzt sich aus Inflammation (Entzündung) und Aging (Altern) zusammen und beschreibt den Zustand chronisch leichter Entzündungsaktivität, die über Jahre im Körper schwelt.Es geht dabei nicht um akute Entzündungen – also nicht um eine geschwollene Wunde oder eine Erkältung – sondern um eine leise, systemische Daueraktivierung des Immunsystems, die kaum spürbar ist, aber langfristig Spuren hinterlässt.
Diese sogenannten „stillen Entzündungen“ gelten heute als eine der zentralen Triebkräfte des biologischen Alterns.
Sie fördern die Entstehung zahlreicher Zivilisationskrankheiten – von Arteriosklerose über Typ-2-Diabetes bis hin zu neurodegenerativen Erkrankungen.
Eine groß angelegte Meta-Analyse von Franceschi et al. (2024, Nature Reviews Immunology) bezeichnet Inflammaging als „universelles Merkmal des Alterungsprozesses“.
Die Forscher zeigen, dass erhöhte Werte bestimmter Entzündungsmarker – insbesondere Interleukin-6 (IL-6), Tumornekrosefaktor-alpha (TNF-α) und C-reaktives Protein (CRP) – mit einem schnelleren biologischen Altern und höherer Krankheitslast korrelieren.
Wie entstehen diese stillen Entzündungen?
Die Ursachen sind vielfältig und meist subtil. Ernährung spielt eine entscheidende Rolle, aber sie steht in einem Netzwerk aus Lebensstilfaktoren:
Ungleichgewicht im Immunsystem: Mit dem Alter verändert sich die Aktivität der Immunzellen. Sie werden weniger effizient, setzen aber mehr entzündungsfördernde Botenstoffe frei.
Oxidativer Stress: Freie Radikale entstehen bei Stoffwechselprozessen, Umweltgiften, UV-Strahlung oder Stress. Wenn Antioxidantien fehlen, entstehen Zellschäden, die Entzündungsprozesse triggern.
Ernährung: Hoher Zuckerkonsum, stark verarbeitete Lebensmittel, Transfette und ein Übermaß an Omega-6-Fettsäuren (z. B. aus Sonnenblumenöl, einige tierische Fette) fördern entzündliche Stoffwechselwege.
Darmgesundheit: Eine geschwächte Darmbarriere („Leaky Gut“) kann entzündliche Reaktionen verstärken, da kleinste Moleküle aus dem Darm ins Blut gelangen.
Lebensstil: Bewegungsmangel, Schlafdefizit und chronischer Stress halten das Immunsystem dauerhaft in Alarmbereitschaft.
Diese Faktoren summieren sich – und das meist unbemerkt über Jahre.

Was die Forschung dazu sagt
Mehrere aktuelle Meta-Analysen bestätigen, dass Inflammaging nicht nur ein Nebeneffekt des Alterns, sondern eine aktive Triebkraft ist.
Eine umfassende Auswertung von Barrea et al. (2025, Clinical Nutrition) untersuchte über 90.000 Proband*innen aus 42 Studien: Personen mit entzündungsfördernden Ernährungsgewohnheiten (hoher Anteil an ultra-verarbeiteten Lebensmitteln, Zucker, gesättigten Fetten) zeigten durchweg höhere CRP- und IL-6-Werte.
Im Gegensatz dazu senken antientzündliche Ernährungsmuster – etwa die mediterrane Kost oder pflanzenbetonte Ernährung – diese Marker signifikant. Eine Meta-Analyse im American Journal of Clinical Nutrition (Calder, 2025) kommt zu dem Schluss, dass eine achtwöchige Umstellung auf eine mediterrane Ernährungsweise den systemischen Entzündungsstatus messbar reduziert, unabhängig von Gewichtsveränderungen.
Auch Faktoren wie Schlafqualität und moderate Bewegung werden zunehmend als entzündungsregulierend verstanden.
Selbst 30 Minuten zügiges Gehen täglich kann IL-6-Spiegel senken – allerdings nur, wenn gleichzeitig ausreichend Schlaf und ausgewogene Ernährung vorhanden sind.
Warum stille Entzündungen so gefährlich sind
Weil sie sich schleichend entwickeln. Niemand spürt, dass das Immunsystem täglich in einem leichten „Alarmzustand“ arbeitet. Doch langfristig führt diese Daueraktivierung zu einem erhöhten Energieverbrauch, Zellstress und einer schwächeren Regenerationsfähigkeit.
Auf Dauer bedeutet das:
Beschleunigte Zellalterung durch verkürzte Telomere (die „Schutzkappen“ unserer DNA)
Erhöhte Insulinresistenz
Schwächere Muskelkraft und schnellere Ermüdung
Verlangsamte Regeneration nach Belastung
Höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und neurodegenerative Prozesse
Mit anderen Worten: Entzündungen sind nicht nur ein Symptom des Alterns – sie sind sein Motor.
Wie du die Zeichen erkennst
Einige mögliche Anzeichen für stille Entzündungen sind:
häufige Müdigkeit trotz Schlaf
diffuse Gelenk- oder Muskelschmerzen
Blähungen, Völlegefühl, Verdauungsprobleme
unerklärliche Gewichtszunahme
schlechte Regeneration nach Sport
Hautprobleme, Infektanfälligkeit
Natürlich sind das unspezifische Symptome – aber wenn mehrere davon zusammentreffen, lohnt sich ein genauerer Blick. Laborwerte wie CRP oder IL-6 können hier objektive Hinweise liefern.
Was das für dich bedeutet
Inflammaging ist kein Schicksal, sondern ein Prozess, den du beeinflussen kannst.
Ernährung, Bewegung, Schlaf und Stressmanagement wirken wie Stellschrauben, die dein inneres Entzündungsgeschehen regulieren.
Durch eine individuelle Ernährungsumstellung, gezieltes Stressmanagement, Anpassung von Alltagsbewegung und Schlafverhalten können messbare Effekte erzielt werden.
In Teil 2 dieser Serie geht es darum, welche Nahrungsmittel Entzündungen bremsen und welche sie befeuern – inklusive der neuesten Erkenntnisse zu Omega-3-Fettsäuren, Polyphenolen und der Rolle des Mikrobioms.
Ebba Wagner, B.Sc. Med. Ernährungswissenschaftlerin & Ernährungsberaterin DGE



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