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Stress, Traurigkeit, Langeweile – was Emotionen über unser Essverhalten verraten



Wenn Gefühle den Teller füllen

Essen ist nie nur Ernährung. Es ist eine Sprache, mit der wir auf unser inneres Erleben antworten.

Viele Menschen greifen zu Süßem, wenn sie erschöpft sind, oder essen, obwohl sie keinen körperlichen Hunger verspüren. Nicht selten beschreibt das der Satz: „Ich esse, um mich zu beruhigen.“


Das nennt man emotionales Essen – ein Mechanismus, um unangenehme Gefühle kurzfristig zu regulieren. Eine systematische Übersicht von Van Strien et al. (2023, Health Psychology Review) zeigt, dass emotionale Esser*innen häufiger Stress, Trauer und Langeweile als Auslöser für Essverhalten nennen als biologische Hungerreize.


Interessant: Dieses Verhalten hat eine klare biologische Grundlage.

Unser Gehirn reagiert auf Essen – vor allem auf Zucker und Fett – mit der Freisetzung von Dopamin und Opioidpeptiden, die kurzfristig Wohlbefinden erzeugen. Das Problem: Der Effekt hält nicht an.

Ernährumgsberatung Lübeck Ebba Wagner
Emotionales Essen kann als Mechanismus zur Emotionsregulation fungieren.

Die Biochemie des „Gefühlsessens“

Wenn Emotionen hochkochen, greift das limbische System ein – das emotionale Zentrum unseres Gehirns.

Unter Stress schüttet der Körper Cortisol aus, ein Hormon, das kurzfristig Energie mobilisiert, aber langfristig den Appetit steigert. Gleichzeitig wird die Aktivität des Dopamin-Belohnungssystems erhöht.

Das bedeutet: Wir suchen gezielt nach Essen, das schnelle Belohnung liefert.


Eine Meta-Analyse von Adam & Epel (2024, Neuroscience & Biobehavioral Reviews) zeigt, dass wiederholter Stress den Zusammenhang zwischen negativen Emotionen und kalorienreichem Essen signifikant verstärkt. Vor allem Frauen und Personen mit geringerer Schlafqualität sind anfälliger.


Diese Effekte sind keine Frage der Willenskraft, sondern neurobiologisch erklärbar.

Dauerstress schwächt die „Bremse“ im präfrontalen Kortex – jenem Hirnareal, das Entscheidungen und Impulskontrolle steuert. Gleichzeitig werden limbische Areale, die emotionale Reaktionen regulieren, stärker aktiv.



Traurigkeit – wenn Essen Nähe ersetzt

Traurigkeit ist das Gefühl des Verlustes – und der Suche nach Verbindung.

Neurobiologisch aktiviert Traurigkeit ähnliche Netzwerke wie körperlicher Schmerz: das sogenannte „soziale Schmerzsystem“, zu dem die vordere Insula und der anteriore cinguläre Kortex gehören.


Essen – besonders warme, weiche und süße Speisen – kann hier als Ersatz für Nähe wirken.

In einer Meta-Analyse von Lee et al. (2024, Frontiers in Psychiatry) wurde gezeigt, dass Personen mit depressiven Symptomen signifikant häufiger emotional essen.

Der Effekt trat unabhängig vom Gewicht auf: Auch Normalgewichtige griffen unter Traurigkeit häufiger zu Essen als emotionale Regulierung.


Interessanterweise verändert sich dabei die Geschmackswahrnehmung: Süß wird angenehmer, bitter unangenehmer. Das Essen wird also wortwörtlich „emotional gewürzt“.




Stress – der häufigste Auslöser

Stress ist der emotionale Klassiker, wenn es ums Essen geht.

Unter Anspannung steigt der Cortisolspiegel, das Herz schlägt schneller, die Verdauung wird kurzzeitig gehemmt. Wenn der Stress nachlässt, folgt die Gegenreaktion: Hunger.


Laut einer Meta-Analyse von Tomiyama et al. (2023, Appetite) essen rund 42 % der Erwachsenen unter Stress mehr, vor allem energiedichte Snacks.

Interessanterweise zeigen die Daten auch: Etwa 20 % essen weniger – akuter Stress kann den Appetit kurzfristig hemmen, während chronischer Stress zu Mehr-Essen führt.


Eine aktuelle Übersichtsarbeit aus der Yale University (2024, Nature Reviews Psychology) betont: Stress verändert nicht nur Verhalten, sondern auch Stoffwechselregulation.

Chronisch erhöhte Cortisolwerte führen zu vermehrter Fettspeicherung im Bauchraum, veränderter Insulinsensitivität und erhöhter Entzündungsaktivität.


Stress ist damit kein „mentales“ Problem, sondern ein Stoffwechselfaktor.



Langeweile – wenn Stille unerträglich wird

Langeweile ist weniger intensiv als Trauer oder Stress, aber sie ist hochwirksam.

Sie signalisiert ein Defizit an Sinn und Reiz. Das Gehirn sucht nach Stimulation – und Essen bietet sofortige, multisensorische Ablenkung.


Eine aktuelle Studie aus Finnland (Journal of Behavioral Addictions, 2025) zeigte: Personen mit starkem Hang zu Langeweile-Erleben essen häufiger außerhalb der regulären Mahlzeiten. Die Aktivierung des Dopaminsystems ähnelt dabei Mustern, die man auch bei impulsivem Verhalten sieht.


Eine weitere Meta-Analyse von Havermans et al. (2023, Appetite) bestätigte: „Boredom eating“ tritt häufiger auf, wenn Menschen wenig Selbstmitgefühl oder geringe Achtsamkeitspraxis haben. Wer gelernt hat, innere Leere wahrzunehmen, ohne sie sofort zu füllen, isst automatisch bewusster.




Wie Emotionen Entscheidungen überlagern

Essen ist selten rational. Neuropsychologische Forschung zeigt: Emotionale Reize aktivieren Entscheidungssysteme im Gehirn schneller als kognitive. Das bedeutet: Der Körper „entscheidet“ oft, bevor der Verstand nachkommt.


Eine funktionelle MRT-Meta-Analyse von Brooks et al. (2024, NeuroImage) bestätigt, dass emotionale Esser*innen eine stärkere Aktivierung im limbischen System zeigen, während die Aktivität im präfrontalen Kortex – der bewussten Kontrolle – reduziert ist.

Das erklärt, warum Achtsamkeit und Bewusstsein so zentrale Rollen in der Ernährungspsychologie spielen: Sie stärken die „Frontallappen-Bremse“.




Achtsamkeit: Der Schlüssel zur Selbstregulation

Achtsamkeit – also das bewusste, nichtwertende Wahrnehmen des gegenwärtigen Moments – ist eine wissenschaftlich belegte Methode, um emotionale Essmuster zu verändern.


Eine Meta-Analyse von Katterman et al. (2024, Obesity Reviews) untersuchte 21 Interventionsstudien und fand:


  • Emotionales Essen nahm im Durchschnitt um 28 % ab.

  • Essanfälle reduzierten sich deutlich.

  • Teilnehmer*innen berichteten über mehr Körperbewusstsein und Zufriedenheit.


Die Wirksamkeit war besonders hoch, wenn Achtsamkeit mit Emotionsregulation und Selbstmitgefühl kombiniert wurde. Eine weitere Studie von Braun et al. (2024, Eating Behaviors) zeigte, dass Menschen mit mehr Selbstmitgefühl weniger emotional essen – unabhängig vom Stresslevel.


Ernährungsberatung Lübeck Ebba Wagner
Achtsam Essen.

Strategien für den Alltag


1.Gefühle wahrnehmen, nicht wegdrücken

Setze dich kurz hin, bevor du isst, und frage: Was fühle ich gerade wirklich?

Allein dieses Innehalten unterbricht den Automatismus.



2.Atem statt Appetit

Eine einfache Atemtechnik (4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus) senkt messbar die Herzfrequenzvariabilität – ein Marker für Entspannungsfähigkeit.Das hilft, zwischen emotionalem und körperlichem Hunger zu unterscheiden.



3.Schlafhygiene als Ernährungstherapie

Wie schon Taheri et al. (2024, Sleep Medicine Reviews) zeigten, führt Schlafmangel zu hormonellen Verschiebungen, die Appetit steigern.

7–8 Stunden Schlaf stabilisieren Emotionen und Blutzucker gleichermaßen.



4.Regelmäßige Mahlzeiten

Stabilität im Alltag reduziert impulsives Essen. Der Körper liebt Rhythmus.



5.Mitgefühl statt Kritik

Selbstverurteilung führt paradoxerweise zu mehr emotionalem Essen.

Selbstmitgefühl wirkt wie ein „psychologischer Puffer“, der Stressreaktionen abfedert.




Was die Forschung zur Therapie sagt

Ein systematischer Review von Sultson et al. (2025, Journal of Health Psychology) verglich über 60 Interventionsprogramme und fand: Kombinationen aus Achtsamkeit, Verhaltenstherapie und Ernährungsberatung sind bis zu doppelt so wirksam wie reine Diätprogramme.

Der Schlüssel liegt nicht im Essensplan, sondern im Verständnis des „Warum“.

Auch Programme mit Fokus auf Intuitives Essen – also die Wahrnehmung körpereigener Hunger- und Sättigungssignale – zeigten signifikante Verbesserungen in Stimmung, Esskontrolle und Körperakzeptanz (Tylka et al., 2024, Eating Behaviors).




Fazit – Essen als Spiegel unserer Emotionen

Essen ist nicht der Feind, sondern ein Spiegel. Unsere Essmuster erzählen, wie wir mit Gefühlen umgehen.

Wer Stress, Trauer oder Langeweile erkennt, ohne sie mit Essen zu betäuben, gewinnt echte Freiheit – und Gelassenheit im Alltag.


In der Ernährungspraxis Wagner in Lübeck begleite ich Menschen dabei, ihr emotionales Essverhalten zu verstehen und liebevoll zu verändern.

Das Ziel ist nicht Kontrolle, sondern Bewusstsein – eine Ernährung, die Körper und Seele nährt.



Ebba Wagner, B.Sc. Med. Ernährungswissenschaftlerin & Ernährungsberaterin DGE

 
 
 

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